Background

Tourenbericht:
Schwere Skitouren Dauphiné

Rolf Glauser – ein mehr oder weniger bekanntes Sektionsmitglied – erklärte sich spontan bereit, den Tourenbericht für die JO und Sektion in die Kiste zu hauen.

Besten Dank für die tolle Arbeit, und euch allen viel Spass beim Lesen.

 

Tom

 

PS: Hier findet ihr noch weitere Bilder von der Skitourenwoche in den „Haute Alps“. ( > http://www.sac-angenstein.ch/cgi-bin/sac-angenstein/photo/index.cgi?action=view&album=Touren/STW_Dauphine_04_2009&language=de )

 

 

Was mich schon lange wunder genommen hatte, hab ich nun endlich nachgeschlagen: die Dauphiné ist eigentlich der Name eines Fürstentums aus dem Mittelalter, das heute in die drei Départements Isère, Drôme und Hautes-Alpes aufgegliedert ist (aus Wikipedia).
In den aktuellen Atlanten wird der darin liegende Gebirgsstock als Massiv des Ecrins bezeichnet. Nähert man sich dem Gebiet von Osten, wird das besonders augenfällig, weil sich da aus einem Meer von übel erodierten Kalkbergen plötzlich ziemlich abrupte Zinken spitz zum Himmel erheben. Das hat dann auch unserer wilden Skitourenwoche das JO-lich freche Motto gegeben:
„JE STEILER, DESTO GEILER!“

* * *

9.4. Anreise Villar d’Arène: Gîtes „Les Mélèzes“

Wir fahren heute allerdings von Westen, von Grenoble, dem Massiv entgegen - mit ÖV. Das braucht den ganzen Tag (mit dem PW "nur" Dreiviertel). Und steil wird's schon ab Vizille, das Val de Romanche beginnt auf 300m. Der Bus kurvt sich hoch nach La Grave, dem Freerider Mekka und spuckt uns ein Dörfchen weiter aus. Ziemlich reisemüde stürzen wir uns aufs Abendessen und Carole bekommt ihre Dusche.


10.4. Brèche de Chamoissière - Ref. de l’Alpe de Villar d’Arène

Wir stehen christlich auf, Ostern steht ja vor der Tür und ab dem Réfuge de l'Alpe eine Eingehtour. Das Wetter, gestern noch durchaus viel versprechend, zeigt sich unwillig. Eine Stunde Skitragen das flache Tal hinein, dann reicht die Schneedecke zum Anfellen. Nach ner weiteren Stunde quartieren wir im de l'Alpe ein, noch nicht wissend, dass das unser Oster-Basecamp wird. Die Stube gross, noch wenig Leute, in der Ecke zur Küche ein schöner Kanonenofen, den wir bald zu schätzen wissen; Suppe, Omletts und so.
Nun aber los, wir wollen nicht den ganzen Morgen rumhängen und sogar Carole lässt sich dank dem Machtwort des Guides von einer Zwischendusche abhalten. Mit leichtem Gepäck und voll Tatendrang oder auch vollem Magen steigen wir der Brèche entgegen, während die Wolkendecke sich weiter senkt. In einem flotten 40° Hang, ca. 100m unter der Scharte, kratzen wir Wolken. Sogar Alfons, der als schummrige Scheme den letzten Teil der mit pulvrigem Triebschnee bedeckten Zielstrecke erkundet, gibt auf - aber die Abfahrt: geil!


11.4. Brèche d’Arsine (?) - Ref. de l’Alpe de Villar d’Arène

Heute hätten wir Grosses vor gehabt - aber wie schon an andern Orten bemerkt: Petrus gewinnt immer! Ne Stunde später als vorgesehen, unter hartnäckig tief hängenden Wolken, schleppen wir uns mit vollem Gepäck und magerer Motivation der Brèche de la Plate des Agneaux entgegen. Werden von hinten von einigen schnellen Jungs überholt - nein, es sind nicht die Patrouilleure mit Zündhölzchen an den Füssen, die gestern noch die Hütte umschwirrten - und geben am Fusse des Couloirs gleichzeitig auf, aber nicht ganz. Rechts oben ist so ne neckische Lücke und dahinter kann man noch etwa 200m höher steigen dem Grat entgegen. Und dann die Abfahrt: Stellen über 40° - vollgeil!
Ob dann Carole nachmittags tatsächlich geduscht hat, weiss ich nicht mehr. Aber mangels Sonne (Kollektoren) gabs sicherlich kein warmes Wasser. Abends hat eine Neuankömmlingin dies jedenfalls gewagt, im engen Gehäuse aber den Lichtschalter nicht gefunden, so dass ihr Freund mit der Stirnlampe aushelfen musste. Kurz vorher kommt stracks der Hüttenchef zu unserem Tisch und liest mit horrendem Tempo das Meteo aus dem Internet auf einem Notitzzettel ab. Nach intensiver Dolmetscherarbeit haben wir Sonnenhoffnung für morgen Nachmittag.


12.4. Col des Neiges - Ref. Adèle Planchard

Der Himmel sieht immer noch gleich aus, aber wenigstens laufen wir mal in ne andere Richtung. Flach schlängeln wir uns nach hinten ins Val de la Plate des Agneaux. Links nach oben haben wir einen Einblick zum Glacier des Agneaux, einem weiteren möglichen Übergang zum Ref. des Ecrins. Ganz hinten im Tal steigen wir endlich spürbar. Das folgende Gletscherchen buckelt sich ordentlich unter der Klimaerwärmung. Dann der Col: auf der französischen Karte nicht ablesbar, bricht die andere Seite felsig ab. Aber nach 30m auf dem Grat können wir die Skier wieder vom Rucksack schnallen. Kurze Abfahrt, natürlich meist im Nebel, und wir stehen vor dem Réfuge Adèle Planchard.
Drinnen ist es sau kalt, nicht nur der Kanonenofen fehlt, auch die Dusche, wie Carole entrüstet feststellt. Doch gleich neben der Stubentüre steht ne Kletterwand. Glunge, auf 3100m! Aber die einzige Chance, warm zu werden. Und es funktioniert! So hastig, wie der Chef gestern Abend jedoch den Wetterbericht runter gehaspelt hat, kann Petrus keine Aufhellung basteln. Immerhin – für 5 Minuten Sonne reichts.


13.4. La Grande Ruine - Ref. de l’Alpe de Villar d’Arène

Der andere Morgen dann frisch gewaschen. Stellenweise noch steif gefroren von der kalten Nacht, wärmen wir uns während dem kurzsteilen Aufstieg an der Morgensonne. Alle vor uns haben sich für die Couloir-Variante entschieden, es sind auch einige mit den Zündhölzchen dabei. Wir aber, gar nicht JO-mässig, sondern eher seniorig, nehmen den Südgrat. Dafür darf noch Fels angelangt werden. Endlich ein Ecrins-Panorama und wieder unten ein frühlingsskitourenhaftes Vesper.
Gestern hatten uns die Hüttenleute etwas befremdet gemustert, weil wir nicht direkt (von S) hochgestiegen sind (ah, les Suisses allemand!). Auch heute bleiben wir exotisch und nehmen nochmals den Col – schon wegen dem Kick des Skitragens. Die Belohnung: oben Pulver oder so was ähnliches, dann feinster Sulz bis ins Tal runter. Und auch Carole ist heut Abend besonders frisch (ah, die Kollektoren!).


14.4. Brèche de la Plate des Agneaux – Pic de Neige Cordier – Col Émile Pic – Ref. des Écrins

Während wir beinahe ausschlafen konnten, trotz einiger Einwände des Hüttenwarts, mussten unsere Neuankömmlinge Claudia und Heiner in Villar sehr früh aufstehen. Netterweise hat sie der Besitzer der Gîtes noch ans Ende der Strasse gefahren. Kurz nach 7h treffen sie ein, einige von uns (immer diese Raucher) lungern schon draussen rum. Ein WC-Halt ist den Neuen noch vergönnt, dann geht’s los (einige scharren schon).
Was für ein Tag, kein Vergleich mit Vorvorvorgestern! Bald ist das böse Couloir erreicht, der sonst eher zurückhaltende Damian hilft Carole mit feinsten Bemerkungen beim Skier anschnallen. Alfons ist schon mal voraus gespurtet, um dann allenfalls hinten noch etwas zu richten, was aber nicht nötig war. Nur ordentlich warm ists geworden. Nach der Brèche folgt wieder skitouren-normal Gelände vom Feinsten bis fast zum Gipfel, wo noch ein weiteres Couloir wartet, ämel für die, die noch nicht genug haben. Wieder bester Trittschnee und oben ein grandioser Überblick über Les Ecrins NE.
Zurück bei den Bretterln, folgt eine kurze Traverse (die allerdings von der Grande Ruine gestern fast senkrecht ausgesehen hat) und ich denke schon, nun ist das Heu geführt – denkste! Unten am Wächtentrichter des Col Emil Pic steht Alfons und hantiert schon mit dem technischen Klimbim. Eine kurze, enge Rinne, an der steilsten Stelle, obwohl südseitig, überflüssigerweise noch übel vereist, erinnert uns daran, wo wir sind.
Aber dann, im Ref. des Ecrins die ultimative Belohnung mit diversen Kuchen, fast frisch aus dem Ofen und auch sonst bleiben fast* keine Wünsche offen (Ja, ja, Toilette war halt wieder mal französisch). Das Haus ist nicht voll und der Abend äusserst gemütlich.
(*=Wer weiss, für was „fast“ steht, bekommt von mir eines der Ecrins-Panoramen. Bitte mailen!)


15.4. Dôme de Neige – Col des Écrins – Ref. du Châtélleret

Nach den (hoffentlich) warmen Wolldecken und leidlichem Frühstück beginnt der Schrecken des noch jungen Tages: mit Stirnlampe den auf der Rückseite überhängenden und vereisten Hang zum Glacier Blanc runterfahren, oder so ähnlich, und das mit steifen Muskeln und gefrorenen Knochen.
Nun sind wir (nebst dem riesigen Parkplatz unten Chez Madame Carle) auf dem wohl flachsten Teil der ganzen Ecrins. Die nicht ganz verschwinden wollende Restbewölkung gibt der Dämmerung die nötige Dramatik, die anschliessend am Beginn des Gipfelhanges durch einen von oben drohenden Eisabbruch noch leicht gesteigert wird. Dann halten Nebelschwaden diese Stimmung auf dem schon erreichten Nivo und plötzliche Rufe (au secoure!) und heftiges Winken einer vorhin an uns vorbei abfahrenden Dreiergruppe (nun reduziert) lüpfen das Ganze um eine Oktave!
Wir stocken in unserem Kampf mit den Spitzkehren und dem auf harter Unterlage immer wieder unberechenbar abrutschenden Schnee und spähen durch Nebellöcher nach unten. Eine grössere Gruppe, vom Gletscherboden aufsteigend, hat jedoch schon fast die beiden „Überlebenden“ erreicht, die schon ein Seil ausrollen. Später auf dem Gipfel berichtet selbige Gruppe, der arme Spaltenstürzer sei praktisch unverletzt nach wenigen Minuten und starkem Zug vieler Hände wieder draussen gewesen.
Ansonsten ist‘s oben nicht allzu windig aber trotzdem empfindlich kalt. Die Barre hat eine kleine Fahne, die verstellt den Blick nach SE. Wir bleiben nicht lange. Abfahrt meist im Nebel bis ins unterste Viertel. Der Col ist windig, Skier aufschnallen. Das Cable führt zuerst leicht abwärts durch ein gut gestuftes Wändchen, dann geht’s 40m runter – abseilen. Wir lassen noch das zweite Seil in den über 40° steilen Hang. Oben ist er noch weich, aber just über dem lästigen Felsband unten gefroren – heikel. Die folgende Abfahrt wird zunehmend schöner. Sulz fast bis zum Plat des Étancon. Hier treffen sich drei Täler, La Bérarde ist nicht sichtbar. Grossartig-wilde Stimmung und ein spätes Mittagessen im Warmen.
Der folgende Hüttenaufstieg zum Châtélleret ist kurz und schweisstreibend. Eine flotte und resolute (va. was den Kanonenofen betrifft) Hüttenwartin bewirtet uns. Auch Carole kann sie, trotz weiblicher Solidarität, nicht dazu erweichen, die Dusche (falls es diese überhaupt gab) auf zu schliessen. Das Scheisshaus mit von innen klemmender Tür steht einsam im Schnee. Mit der Zeit taucht zuerst eine, dann eine zweite Kollegin der strengen Chefin auf und bis zum köstlichen Nachtessen spielen wir Uno in der nun gemütlich warmen Stube. Wir sind die einzigen Gäste.


16.4. la Bérarde - Villar d’Arène: Gîtes „La Brèche“

Das Meteo der resoluten Wartin gestern war ja eher pessimistisch und heute Morgen graupelts vorerst ein wenig. Die Brèche de la Meije hatten wir gestern schon gestrichen, zur Diskussion steht nun das dazwischen liegende Ref. du Promontaire. Oben hätten letzte Nacht so etwa 20 Touristen genächtigt, erfahren wir von der Chefin. Claudia und Damian sind fest entschlossen, Heiner unentschieden, Carole (wegen der fehlenden Dusche) und das feige Gloisi für Abbruch, der Guide und Tom als TL professionell neutral. Draussen schneit es mittlerweile riesige Nassschneefetzen und die ersten der 20 Touristen treffen nun vermummt und verschneit in unserer Hütte ein – oben auf der Brèche hätte es über 20cm Neuschnee – Alea Jacta Est! Ein Bus nach La Bérarde ist schnell organisiert. Im Tal unten scheint wieder die Sonne und Damian muss mit Samthändsche angefasst werden. Zum Glück ist in Villar d’Arène die Meije wenigstens verhüllt. Duschen, Shoppen und Gloisi schwitzt noch etwas seiner Feigheit in der Sauna aus.
Die Gîtes „La Brèche ist ausgezeichnet, der Wirt, seine Grosskinder, einige Gäste und wir essen alle lange an einer langen Tafel. Irgendwann im Verlaufe dieses Tages bestätigten Tom und Damian, dass tatsächlich die JO-Regel 723 „Aussitzen“ verletzt wurde.


17.4. Heimreise

Die Maije ist immer noch verhüllt und wir steigen in den Bus nach Grenoble. Im Tal unten sind die Knospen förmlich explodiert. Der Genfersee glitzert silbern und die Gipfel der Walliser sind auch noch verhangen. Auf den Jurahöhen letzte Schneeflecken. In Bern ein weiteres Umsteigen, einer dieser Lifte auf den Perrons mit Türen auf zwei Seiten macht uns kurz zu Touristenschrecks: durch die Glastüre sehe ich Carole und Tom Heiner und mir zuwinken, von der andern Seite einzusteigen, drinnen steht ein Businessman. Als wir von unserer Seite einsteigen wollen, flüchtet dieser mit einem „stupid fucking Swiss“.
Die Meije ist noch offen, aber das ist nicht der einzige Grund, in dieses herrlich wilde Massiv zurück zu kehren.

Vielen Dank an:
Alfons Kühne (Guide), Tom Kaiser (TL), Carole Treml, Claudia Strehl, Damian Blarer, Heiner Brogle,

Rolf Glauser (Tastenverhauer)